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Rede von Oberbürgermeisters

Rede von Oberbürgermeisters Nino Haase aus Anlass des Gedenkens an den 80. Jahrestag des Bombenangriffs auf Mainz vom 27. Februar 1945

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass alljährlich so viele Menschen an unserem gemeinsamen Gedenken Anteil nehmen. Besonders herzlich möchte ich heute, am 80. Jahrestag der Zerstörung von Mainz, diejenigen Anwesenden, die den schrecklichen Bombenangriff selbst miterlebt haben, und ihre Angehörigen begrüßen.

Verehrte Damen und Herren, der 27. Februar vor 80 Jahren markiert einen Wendepunkt in unserer Stadtgeschichte: An diesem Tag, um genau 16.46 Uhr war das Mainz, wie man es bisher kannte, war die 2.000 Jahre alte Stadt Mainz ausgelöscht.

Der 27. Februar 1945 hat sich seit diesem Tage in das Gedächtnis der Mainzerinnen und Mainzer fest eingeschrieben und die Erinnerung an das Inferno wird bis heute von Generation zu Generation weitergegeben.

Viel zu spät ertönte an diesem verhängnisvollen Tag vor 80 Jahren der Bombenalarm. Viel zu wenig Zeit blieb den Menschen, sich in die Luftschutzkeller zu retten. Und viel zu viele waren dem Flammenmeer, den herabstürzenden Trümmern, den metertiefen Bombenkratern schutzlos ausgeliefert. 1.200 Menschen starben bei diesem schweren Angriff in unserer Stadt.
Wer sich aber retten konnte, dem bot sich ein furchtbares Bild: überall tote, verletzte oder verängstigte Menschen, eingestürzte, brennende Häuser, aufgerissene Straßen und Plätze und über allem eine schwarze, undurchdringliche Rauchwolke.
Diesem schrecklichen Tag folgten weitere furchtbare Tage: Tage des Suchens nach Verschütteten und Vermissten; Tage des bangen Hoffens und der tiefen Trauer.

Es sind nur noch wenige, die uns von dieser Zeit als Zeugen berichten können. Ihre Stimmen dürfen aber nie verstummen, denn ihre Stimmen brauchen wir zum Erinnern und noch viel mehr als Mahnung, dass sich so etwas nie mehr wiederholt. Es ist unsere Pflicht, die Vergangenheit lebendig zu halten – und diesen Stimmen eine Öffentlichkeit zu geben, in Schulen, in Vereinen, im Alltag, bei Stadtspaziergängen – hier ein besonderer Dank an Herrn Michael Bermeitinger – und bei Veranstaltungen wie dieser heute.

Und so will ich heute dazu beitragen, dass die Stimmen der Zeitzeugen gehört werden. Ich zitiere Herrn Dr. Anton Maria Keim, den langjährigen Bürgermeister und Mainzer Kulturdezernenten: "Dieser Tag bleibt mir bis heute in leidvoller Erinnerung. Ich werde nachts manchmal wach und weiß gar nicht, warum ich noch lebe. Ich zucke heute noch zusammen, wenn ich eine Sirene höre oder wenn mich etwas an Flakfeuer erinnert. Das Knistern und das Brennen der Stadt bleiben mir ewig in Erinnerung."

Und noch einen Zeitzeugen möchte ich ausdrücklich erwähnen: Herr Philipp Münch, der heute 95 Jahre alt wird und aus gesundheitlichen Gründen leider nicht bei uns sein kann. Herr Münch hat die die Bombenangriffe auf Mainz einmal als "Schlüsselmomente" bezeichnet, die sein weiteres Leben nachhaltig geprägt haben: "Krieg, Bomben, Brände, Phosphor, viele Tote … auch in unserem Hause. Diese Bilder werde ich nicht mehr los."

Heinz Leiwig, ebenfalls ein Zeitzeuge, schreibt in seinem Buch "Mainz im Bombenhagel": "Der Abwurf von 514.006 Stabbrandbomben, ein wahrer Brandbombenregen, verursachte die Entstehung einer Feuerwalze, die in den engen Häuserschluchten nicht mehr zu löschen war. Windgeschwindigkeiten bis zu 240 Stundenkilometern rissen den Flüchtenden die Kleider vom Körper. Kühlung und Rettung versprach das Rheinufer. Von dort aber blies ein heißer Luftstrom in das Flammenmeer der Innenstadt. Als Todesfalle erwies sich die Große Bleiche. Aus der geteerten Holzpflasterdecke züngelten Flammen. Wer hier eine Flucht wagte, blieb im flüssigen Teer haften und verbrannte bei lebendigem Leibe. Die Windböen vereinigten sich über dem brennenden Pflaster zu einem Feuersturm."

Heute, sehr verehrte Damen und Herren, gedenken wir derer, die der Krieg genommen hat: an diesem Tag und an allen Tagen davor und danach; aus unserer Stadt – und aus den Städten der Welt. Wir gedenken der Familien, die den Ehemann verloren, die die geliebte Frau verloren, den Bruder, die Schwester – oder die Kinder. Der Krieg macht keine Unterschiede.
Unsere Gedanken sind bei denen, die verletzt und traumatisiert zurückblieben und die einen Teil ihres eigenen Lebens verloren – die verloren, was hätte sein können, wenn Frieden gewesen wäre. Ihrer aller Leid ist uns Mahnung.

Verehrte Damen und Herren, den Krieg, der am 27. Februar 1945 mit so vernichtender Wucht in unsere Stadt kam, haben wir Deutsche zuvor in die Welt geschickt; das nationalsozialistische Deutschland – berauscht von Selbstverherrlichung, Rassenwahn und unsagbarem Vernichtungswillen.

Und wenn wir heute, 80 Jahre später, der Opfer gedenken, dann tun wir dies in dem festen Willen, nie wieder jenes Gedankengut zuzulassen, das so viel Leid über ganz Europa und über unsere Stadt gebracht hat. Die Glocken unserer Kirchen mahnen uns heute um 16 Uhr 30 zum Frieden und zum Achtgeben auf unsere Demokratie. Heute mehr denn je!

Wir Deutsche haben Lehren aus unserer Geschichte gezogen. Wir haben unsere Dörfer und Städte wiederaufgebaut, unser Mainz wiederaufgebaut. Wir haben unsere Verfassung aufgebaut, und auf diesem festen Fundament unsere Demokratie wachsen lassen. Dies hat uns Jahrzehnte des Friedens und des Wohlergehens beschert.

In diesen Tagen sehen wir aber schmerzlich, was passiert, wenn Menschen in unserem Land – und Menschen außerhalb unseres Landes – die Geschichte vergessen oder die Geschichte für ihre Zwecke umdeuten. Wir hören Rufe nach Remigration, nach mehr Deutschtum, nach Deutscher Mark und Deutscher Kunst und Deutschen Fußballern in der Deutschen Nationalmannschaft.

Und Gott-sei-Dank erleben wir aber auch gleichzeitig, dass in unseren Städten Zehntausende, ja deutschlandweit betrachtet, Hunderttausende Menschen auf die Straße gehen. Und dass sie gegen diese menschenverachtenden rechten Parolen demonstrieren. Und dass sie für die Demokratie einstehen und für die Werte unseres Landes. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wie unbegreiflich ist es in diesem Zusammenhang, dass gerade der amerikanische Vizepräsident den Deutschen und Europäern vorwirft, sie brächten die Meinungsfreiheit und damit die Werte der Demokratie in Gefahr – eben, weil sie sich gegen Hass und Hetze der Populisten stemmen.

Und ebenso unbegreiflich ist mir, dass ein elitärer Wirtschaftsboss sich anmaßt, über den großen Ozean hinweg unsere Politiker zu beleidigen und uns auffordert, die Gedenkkultur für die Opfer der Nazidiktatur "nun hinter uns zu lassen". Das ist brandgefährlich und ein direkter Angriff auf unsere Demokratie. Solch Geschichtsvergessenheit und Geschichtsverdrossenheit macht mich fassungslos. Beides haben wir übrigens auch im aktuellen Wahlkampf zuhauf gesehen.

Die Demokratie in Deutschland muss gestärkt werden. Daher will ich alle Mainzer Bürgerinnen und Bürger aufrufen, Flagge zu zeigen, bei Kundgebungen und Demonstrationen in der Stadt, aber auch in vielen Gesprächen im Freundeskreis, im Verein, im Beruf. Mainz ist bunt und vielfältig und hat die Demokratie wie keine andere Stadt in ihrer Identität manifestiert.

Ich habe – heute an diesem Tag des Erinnerns – eine klare Botschaft an die Brandstifter aus Potsdam und all ihre Freunde: Euer Hass, euer abscheuliches Gedankengut wird nicht noch einmal unser liebenswertes Mainz und unser schönes Land zerstören. Wir stehen ein für Demokratie, für Menschlichkeit, für Menschenrechte und Menschenwürde!

Lasst uns zusammenhalten und für Frieden und das Miteinander zwischen den Völkern einstehen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin froh, dass wir wieder hier in Sankt Christoph zusammengekommen sind. Ich möchte all jenen Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt danken, die sich in der Initiative St. Christoph engagieren. Ihrem Engagement verdanken wir, dass um unsere Kirchenruine ein Platz entstanden ist, der das Gotteshaus in seiner historischen Würde und Ausstrahlung wieder zur Geltung bringt. Und auch der Turm ist inzwischen saniert und damit sind die Voraussetzungen geschaffen für die Innentreppe, die Turmspitze und den Zugang zum Turm. Im Laufe des kommenden Jahres wird das Bauprojekt dann hier vollendet sein.

Dieser Ort hier mahnt uns zum Innehalten, zum Gedenken.

Zum 80. Jahrestag, verehrte Damen und Herren, gibt es in unserer Stadt verschiedene Veranstaltungen, Vorträge und Ausstellungen zum Gedenken – eine Übersicht finden Sie in der Broschüre, die hier ausliegt. Über dieses umfangreiche Programm, das ein wichtiger Part der Erinnerungskultur ist, bin ich sehr froh – und ich will allen von Herzen danken, die zur Realisierung beigetragen haben.

Besonders hinweisen will ich auf die Fotoausstellung "Mainz, du sollst nicht untergehen… – Die Stadt 1945 und heute". Sie zeigt schwarz-weiß-Bilder der stark zerstörten Stadt in Kombination mit Farbfotos von heute aus der gleichen Perspektive.

Als Ausstellungsort eignet sich St. Stephan in besonderer Weise, da hier sowohl das Kircheninnere als auch der Kirchturm am 27. Februar 1945 schwer beschädigt wurden. Zugleich steht die Kirche symbolisch auch für das Friedensgebet und für Versöhnung.

Meine Damen und Herren,

im Gedenken an die Toten der Bombardierung von Mainz am 27. Februar 1945 sowie der vorangegangenen Luftangriffe legen wir nun hier, in der Ruine von St. Christoph und am Mahnmal gegen den Krieg, einen Kranz nieder.

Wir halten damit unsere Trauer lebendig und bewahren die Erinnerung an die Toten in unseren Herzen.